Wie man seiner Flinte einen Antrag macht Teil 1: „Ankuscheln“ statt „anschlagen“!


Ausgabe 3/2014

Als ich einmal auf dem Browning-Messestand der Jagd und Hund in Dortmund einem Kunden von der Faszination des Flintenschießens vorschwärmte, kam eine Dame des Weges und starrte mich fassungslos an. „Erklären Sie mir bitte, wie mir etwas Spaß machen soll, das mir körperliche Schmerzen bereitet!“ Anschlag im Zusammenhang mit dem Flintenschießen ist ein komisches Wort. Es geht weder um einen Terror-Anschlag noch um einen sonstigen Angriff auf das Leben oder die Gesundheit, oder? Wer schlägt sich denn gerne den Schaft einer Flinte in sein Gesicht? Gibt es einen unpassenderen Begriff als „Anschlag“ für das, was gemeint ist? Gibt es ein Wort, das mehr von dem ablenkt, was wir tun wollen und was gefragt ist? Wer lernt, mit einer Flinte zu schießen, erfährt bald, dass er den Anschlag üben müsse. Vor dem Spiegel, am besten täglich, hunderte und tausende Male. Bis der „Anschlag sitzt“. Was aber ist ein Anschlag? Warum und zu welchem Zweck schlägt man an? Wie macht man das? Fragen über Fragen. Man sollte ihnen gründlich nachgehen, um sich selbst auf den richtigen, erfolgreichen Weg zu bringen. Erst nachdenken, erst Lernziele bestimmen und dann zielgerichtet üben. So kommt man schnell voran.

Was ist ein „Anschlag“? 

Das Bewegen der Flinte aus einer Erwartungshaltung heraus in diejenige Position, die die Flinte im Schuss einnehmen soll, versteht man gemeinhin als das „Anschlagen“ der Flinte. Wer die Technik erlernen will, muss sich zum einen mit der Anschlag-Bewegung und zum anderen mit der Anschlag-Vollendung beschäftigen. Wie wird die Flinte bewegt? Von wo nach wo? Und wo muss sie am Ende der Bewegung sein? Das sind die Schlüsselfragen, die beantwortet werden müssen.

Ist ein Anschlag notwendig? 

Es ist definitiv nicht notwendig, eine Flinte anzuschlagen, um ein sich bewegendes Ziel zu treffen. Das beweisen Jahr für Jahr die Meisterschützen, die eine Handvoll Wurfscheiben in die Luft werfen, und jede einzelne „aus der Hüfte“ heraus zerschießen, bevor sie die Erdanziehungskraft zum Boden zurückgeholt hat. Wer in der Lage ist, die Seelenachse seiner Flinte dorthin zu richten, wohin er schießen will, auch wenn er die Flinte in Hüfthöhe hält, der muss seine Flinte nicht „anschlagen“, um zu treffen. Das ist sicher!

Kann man nicht „vorher“ schon anschlagen? 

Natürlich kann man das. „Vorher“ heißt hier, bevor das Ziel erscheint. Sport-Trapschützen schlagen in aller Ruhe und Sorgfalt ihre Flinte bereits in der Vorbereitungsphase an. Wenn sie die Wurfscheibe abrufen, ist ihre Flinte schon angeschlagen. Auch English Skeet kann aus einem solchen „Voranschlag“ heraus geschossen werden. Ebenso lassen sich manche Parcourstauben mit „vorangeschlagener“ Flinte leicht und mühelos brechen. Man kann ein sich bewegendes Ziel im „Voranschlag“ treffen, ja!

Warum schießt man nicht generell aus dem „Voranschlag“?

Nach dem Gesagten ist die Frage berechtigt. Wenn man für einen Treffer gar keinen Anschlag braucht, ja auch aus der Hüfte heraus treffen könnte, und wenn man andererseits vorher in Anschlag gehen kann und auch trifft, warum macht man es denn dann so kompliziert und geht mit der Flinte erst in den Anschlag, nachdem das Ziel erschienen ist? Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Wer einen Wettkampf schießt, ist den Regeln der jeweiligen Disziplin unterworfen. Wer eine Jägerprüfung ablegt, muss sich an eine Prüfungsordnung halten. Wer jagt, wird seine Flinte nicht den ganzen Tag angeschlagen halten oder tragen. Die Fälle, in denen die Waffe nicht schon angeschlagen ist, wenn das Ziel erscheint, oder anders ausgedrückt, in denen die Flinte erst nach dem Erscheinen des Ziels angeschlagen werden kann oder darf, machen die Entwicklung einer Anschlagtechnik notwendig, wenn man treffen und Spaß am Flintenschießen haben will.

Die Stellung des Schützen

Im Augenblick der Schussabgabe ist die „Stellung“ des Schützen die Grundlage und Voraussetzung eines guten und reproduzierbaren Anschlages. Ohne eine durchdachte Körperhaltung lässt sich ein korrekter Anschlag nicht herstellen. Wie sollte ein Anschlag reproduzierbar sein, wenn es die Stellung des Schützen schon nicht ist? Wiederholbar immer wieder gleich zu „stehen“, ist eine echte Aufgabe. Davon weiß jeder Schäfter zu berichten, wenn es gilt, die Flintenmaße eines Kunden mit dem Gelenkgewehr zu ermitteln. Das richtige „Stehen“ macht man sich am besten zunächst ohne Flinte klar. Sowohl im Hinblick auf das Anschlagen der Flinte als auch die im weiteren Trainingsverlauf hinzukommende Körperdrehung. Der Flinte wird durch die entsprechende – einladende – Körperhaltung ein Antrag gemacht. „Komm zu mir. Ich mache es dir leicht. Ich bin vorbereitet und erwarte dich!“ Wenn der Schütze seine Flinte zu sich lassen will, dann will sie auch zu ihm. Wenn er von ihr wegstrebt, den Körper nach hinten streckt, den Kopf zurückzieht, sich von ihr wegbewegt, wo sollte sie sich denn „ankuscheln“ und warum? Der Schütze muss zur Taube, zu seinem Ziel hinstreben, und die Flinte als seinen Freund betrachten, den er mit „offenen Armen“ empfangen will. Diese beiden „Eselsbrücken“ im Kopf führen automatisch und konsequent zur guten und instinktiv richtigen Körperhaltung und Stellung des Flintenschützen.

Die Anpassung des Schaftes 

Vor dem Trainieren eines guten Anschlages sollte über das Einüben der richtigen Stellung hinaus die Individualisierung des Werkzeuges stehen. Die Flinte muss an das Individuum Schütze angepasst werden. Mit einer nicht passenden oder nicht genügend gut passenden Flinte eine Anschlagtechnik zu erlernen, kann zu einem frustrierenden Unterfangen werden. Mit ihr zu schießen, kann sogar Schmerzen und Leiden verursachen. Wie sagten schon die Alten: „Der Lauf schießt, der Schaft trifft.“ Eine Flinte dahin zu bewegen, wo sie hin soll, aber nicht will, ist wenigstens mühsam, in manchen Fällen gar unmöglich. Sollte der Schütze seine richtige Stellung und Körperhaltung wegen einer nicht passenden Flinte verändern, waren alle bisherigen Mühen der Vorbereitung vergebens. In die saubere, aus bewegungstechnischer Sicht begründete „Stellung“ des Schützen hinein wird die Flinte modelliert. Schütze und Flinte müssen zueinander passen. Von Natur aus ist das nicht der Fall. Einer muss sich verbiegen. Das muss beim Flintenschießen immer die Flinte sein und niemals der Schütze! Denn wenn er sich verbiegen würde, hieße das, seine vorher gut durchdachte Stellung und Körperhaltung zu verändern. Die Flinte wird an den Schützen angepasst und nicht umgekehrt. Aber nur, wenn er ihr einen Antrag macht. Wenn er seiner Flinte Harmonie anbietet. 

Der Einfluss der Augendominanz

Nur wer auf seiner Anschlagseite zu 100 % dominant ist, ist in der Lage, ohne Hilfsmittel die Flinte mit beiden geöffneten Augen streng in der Blickachse seines Anschlagsauges anzuheben. Schon eine geringe Abweichung der Augendominanz führt, bei beiden geöffneten Augen, dazu, dass der Schütze die Seelenachse der Flinte gegen die Blickachse versetzt. Weitaus die meisten Schützen besitzen die notwendige strikte Augendominanz von Natur aus nicht. Der „CPSA-Fleck“ – siehe dieflinte 1/2013 und 2/2013 – ist eine hilfreiche Korrekturmaßnahme einer für das Flintenschießen unzureichenden Augendominanz. 

Das Resultat 

Die Stellung (nicht nur Fußstellung, sondern gesamte Körperhaltung, engl.: „stance“), die Anpassung des Schaftes an den Flintenschützen und die 100 %ige Augendominanz des Anschlagsauges ergeben zusammen: Schütze und Flinte sehen im Augenblick des Schusses bei angeschlagener Flinte auf dieselbe Stelle – abgesehen von einem eventuellen, gewünschten Hochschuss.

Das System

Zusätzlich gilt, dass im Moment des Schusses ein weiteres System aufgebaut sein muss:  die Blickachse des Anschlagsauges, die Schultertasche und die Seelen­achse der Flinte müssen in einer Ebene liegen. Dazu muss die Flinte an ihren vier Justierpunkten fixiert sein. Dieses System darf niemals und an keiner Stelle unterbrochen werden.

Die Vollendung des Anschlages

Hier ist es ausnahmsweise einmal sinnvoll, „das Pferd von hinten aufzuzäumen“. Also sich zu fragen, wo die Flinte am Ende der Anschlagbewegung denn überhaupt hin soll – und warum? Die Flinte wird nicht angeschlagen, um mit ihr wie mit einer Büchse über eine Zieleinrichtung zu zielen. Die Flinte gleicht einem Zeigestock, mit der man in die gewünschte Richtung zeigt oder deutet. Im Anschlag wird der Zeigestock an vier Stellen befestigt:

  1. Die Schaftkappe liegt in voller Länge und Breite, überall mit dem gleichen Druck, in der Schultertasche an.
  2. Der Rücken des Hinterschaftes liegt immer mit derselben Stelle unter dem Jochbein an der Wange an.
  3. Die rechte und die linke Hand greifen die Flinte immer an derselben Stelle. Für die rechte Hand ist das wegen des Abzuges und meist Pistolengriffs einfacher zu regeln als für die linke (beim Rechtsschützen! Beim Linksschützen ist es umgekehrt). 
  4. Die Lage der linken Hand (des Rechtshänders, der rechten beim Linkshänder) ist von den individuellen Gegebenheiten des Schützen abhängig. Die Lage muss bequem sein und gleichzeitig eine gute Führung der Flinte ermöglichen. Wo die gute Stelle für die linke (rechte beim Linksschützen) Hand ist, findet man am schnellsten in einer Extremposition der Flinte nach oben heraus. Hat man die Stelle für sich und seine Flinte bestimmt, wird ab jetzt an dieser Stelle die Flinte nun immer gehalten – und nicht etwa umgegriffen, je nach Schwierigkeitsgrad – über dem Kopf oder geradeaus. 

Wenn die vier Justierpunkte bedient sind, also die Flinte mit den beiden Händen immer an den definierten Stellen gegriffen wird, die Schaftkappe an der richtigen und immer gleichen Stelle der Schultertasche und der Hinterschaft an der Wange unter dem Jochbein anliegt, ebenfalls immer an derselben Stelle, und gleichzeitig das System aus Blickachse des Anschlagsauges, der Schultertasche und der Seelenachse der Flinte in einer Ebene liegend installiert ist, dann sprechen wir von der Vollendung des Anschlages. 
Seine linke und rechte Hand und deren Position an der Flinte kann der Schütze sehen. Diese beiden Justierpunkte werden in der Vorbereitungsphase vor dem eigentlichen Anschlagen bedient. Die anderen beiden Justierpunkte Schultertasche und Jochbein kann der Schütze nicht sehen. Hier gilt es, ein Gefühl zu entwickeln für die gute und richtige Position der Flinte im Anschlag. Das geht nur durch Übung – ein bewusstes Führen der Flinte an die immer gleichen Stellen der Schultertasche und des Jochbeines!
Bevor die spannende Frage behandelt werden kann, wie man die Flinte am besten in die Anschlagvollendung hinein bewegt, geht es darum, wo und wie die Ausgangsposition der Flinte sein soll.

Die Ausgangsposition des Hinterschaftes

Im jagdlichen Wettkampf und in der Jägerprüfung liegt der Hinterschaft, von der Höhe her gesehen, im Bereich des Hüftknochens. Aus bewegungstechnischer Sicht erscheint es logischer und sinnvoll, den Hinterschaft etwa in der Höhe der Achselhöhle zu halten. Das ist in etwa die Ausgangsposition der Jagdparcoursschützen.  

Die Ausgangsposition der Mündung

Die Mündung der Flinte kann in der Ausgangsposition hoch sein, derart, dass Anschlagsauge, Korn und Ziel eine gerade Linie bilden. Die Seelenachse der Flinte zeigt dann weit über das Ziel. Die Mündung kann in der Ausgangsposition aber auch tiefer gehalten werden, sodass die Seelenachse der Flinte schon in der Vorbereitungsphase auf das Ziel zeigt.

Die Anschlagarten

Grundsätzlich ist es möglich, die Flinte in den Anschlag zu schieben oder zu heben. Im ersten Fall beginnt man mit dem Hinterschaft unter bzw. in der Achselhöhle und schiebt die Flinte nach vorne/oben an seinem Körper entlang. Beim Hebeanschlag unterscheidet man den Pivot- und den parallel-synchronen Anschlag. Pivot beginnt mit der zuvor beschriebenen hohen Mündung. Die Mündung bildet den Drehpunkt, um den herum die Flinte mit der rechten (Rechtsschütze) oder linken Hand (Linksschütze) angehoben wird. Beim parallel-synchronen Anschlag beginnt man mit einer tieferen Mündung und hebt die Flinte gleichmäßig mit beiden Händen an.

Über das Wesen der Anschlagbewegung

Welche Anschlagart eingesetzt wird, hängt vom Geschmack des Schützen ab. Alles ist möglich. Viel wichtiger als eine spezielle Anschlagart ist es, sich mit dem Wesen der Bewegungen auseinanderzusetzen. Welche Bewegungen nützen und welche schaden? Nicht sinnvoll ist es, die Flinte in den Anschlag zu schlagen, zu reißen, zu rucken, zu werfen oder zu wuchten. Worte, die sich „gewaltsam“ anhören, schaden. Sie rufen unkontrollierte Bewegungen hervor.Die Dame auf der Messe in Dortmund hatte offensichtlich versucht, eine ihr nicht passende Flinte „anzuschlagen“. Das führt in der Tat und im Allgemeinen zu körperlichen Schmerzen. Wie viel schöner ist es für sie, nach einer entsprechenden Vorbereitung im Sinne des bisher Gesagten zu lernen, wie sie ihrer Flinte einen Antrag macht und sie „ankuschelt“ statt „anschlägt“. Damit sie nicht nur andere von der Faszination Flintenschießen reden hört, sondern sie selbst erlebt.In der nächsten Ausgabe (dieflinte 4/2014) erfahren Sie mehr über die Bewegung des Flintenanschlages und ihre Verbindung mit einer methodischen Körperdrehung.

Text und Fotos: Detlef Riechert